Albrecht Kresse auf der ATD Conference 2019. Tagebuch, Tag 3.

Der Tag beginnt tatsächlich um acht Uhr in der großen Halle und wieder einmal lässt sich feststellen: Die ATD ist ein super professioneller Laden, aber irgendwie trauen sie sich nicht, einen echten Profi für die Moderation zu engagieren. Der Tag startet mit einer Dame, die als Chair Elected vorgestellt wird. Das sind schon lustige Zeiten, in denen gewählte Stühle auf der Bühne stehen (Bei der GSA sind die wichtigen Leute jetzt ja auch Chair).

Danach kommt ein Mann auf die Bühne, der einen etwas wirren Vortrag hält mit ein, zwei schönen Geschichten, die mit dem Rest des Vortrags aber auch irgendwie nichts zu tun hatten. Am Ende empfiehlt er uns, Pausen zu machen und das mal eine Woche auszuprobieren. Ich bin froh, dass er nach diesem Vortrag tatsächlich seine nächste Pause nimmt und der Tag dann endlich beginnt mit Seth Godin.

Ein Mann, der mir sofort sympathisch ist, weil er meine Frisur trägt. Er kommt mit Krawatte. Das scheint zunächst verwunderlich, redet er doch von Disruption und neuen Kompetenzen, die wir brauchen. Aber in einem Zeitalter, in dem selbst DAX-Vorstände ohne Krawatte rumlaufen, ist der wahre Nonkonformist natürlich Krawattenträger. Godin hat ein wenig bei Ken Robinson abgeguckt und verweist immer wieder darauf, dass unser aktuelles Bildungssystem aus dem 19. Jahrhundert stammt und wir das dringend ändern sollten, denn wir brauchen neue Kompetenzen. Alles nicht neu, aber wunderbar vorgetragen, absolut synchron mit seinen Folien, ein echter Profi. Und mein Verdacht: Der hat seine 19 Bücher wirklich selbst geschrieben.

ATD Conference 2019 ATD Conference 2019

Eine Geschichte kannte ich nicht, und die muss ich noch mal überprüfen. Bis zum Jahr 1750, so Godin, sei die Geschichte von Ikarus und Daedalus anders erzählt worden, als wir sie heute kennen. Bis dahin sei der Rat von Daedalus nämlich gewesen: Fliegt nicht zu tief, sonst erwischen dich die Wellen. Erst danach hat man die Geschichte umgedreht, um die Menschen kleinzuhalten. Wer zu hoch fliegt, der nimmt ein böses Ende. Nein, sagt Godin, Zu-hoch-Fliegen ist ein Privileg, und das sollten wir nicht nur selber tun, sondern dazu beitragen, dass mehr Menschen in den Unternehmen sich genau das trauen.

Gut gelaunt mache ich mich danach auf den Weg in die Ausstellungshalle und mache mich auf die Suche nach neuen Plattformlösungen, Chatbots und Kooperationspartnern für unsere internationalen Trainings. Ein paar interessante Inspirationen habe ich gefunden, die stelle ich dann nächste Woche im Webtalk vor (hier gleich anmelden).


In einem einstündigen Webtalk berichtete Albrecht Kresse von seinen Erfahrungen aus der ATD Conference, stellte Ihnen die neuesten Tools und Trends vor und gab einen Überblick, was uns in den nächsten Jahren zum Thema Learning Design erwartet.
Der Webtalk ist bereits vorbei! Sie können aber up to date bleiben, indem Sie uns Ihre E-Mail-Adresse geben. Sie erhalten dann zweiwöchentlich eine E-Mail mit neuesten Artikeln, einem Lernimpuls und aktuellen Terminen.




 

Ein Plädoyer für Virtual Reality

Britt AndreattaMein nächster Workshop führte mich zu Britt Andreatta, über die ich ja schon ein Loblied im letzten Jahr gesungen habe. Sie war früher bei LinkedIn, hat jetzt ihr eigenes Unternehmen, forscht an der Uni und zeigt wieder einmal, dass sich saubere Forschung und gute Lern- und Trainingskonzepte miteinander verbinden lassen. Sie hält ein Plädoyer für Virtual Reality. Neuere Untersuchungen zeigen, VR-Erlebnisse werden im Gehirn genauso abgespeichert wie echte Erlebnisse. Wenn diese Erkenntnis sich durchsetzt, wird das die VR-Branche verändern. Ich beschließe sofort, meinen geschätzten Kollegen und VR-Spezialisten Christian Arentz zu kontaktieren, um unsere Ideen für Anwendungen im Bereich Kommunikation endlich in die Tat umzusetzen.

Drops statt Kreativitätstrainings

Für gute Ideen empfiehlt Britt das Buch von Michael Pollack über psychedelische Drogen und verweist darauf, dass der Aufstieg des Silicon Valley wahrscheinlich direkt mit LSD und anderen verwandten Drogen zu tun hat. Denn genau damals, als diese Mittelchen noch sehr einfach zu besorgen waren, begann der Aufstieg des Silicon Valley. Es gibt wohl schon Unternehmen, die solche psychedelischen Substanzen in Minidosen testen, um ihre Mitarbeiter zu unterstützen, kreativ zu werden. Das ist natürlich ein gefährlicher Rat, aber wir ahnen schon, Brain Enhancement wird uns in Zukunft noch beschäftigen. Wie praktisch, dann braucht man kein Kreativitätstraining mehr, sondern nimmt einfach ein paar Drops.

Multiple Intelligenzen

Ein weiteres wichtiges Ergebnis, das sie vorstellt: Gardner hatte Recht, dass wir mittlerweile durch echte Forschung wissen, dass multiple Intelligenzen tatsächlich vorhanden sind, wir sie entsprechend würdigen und die Entwicklung von Mitarbeitern daran ausrichten sollten. Die Neuroplastizität und Neurogenese zeigt sie auch am Beispiel von Schweizer Forschungen, bei denen VR genutzt wird, um Querschnittsgelähmten zu helfen, wieder gehen zu lernen. Hier wird VR eingesetzt, um Bilder aus der Ich-Perspektive beim Laufenlernen abzuspielen, die im Gehirn die gleichen Effekte auslösen wie das ursprüngliche Laufenlernen als Kind. Diese Forschung steckt noch in den Anfängen. Ich erinnere mich, dass ich die Wissenschaftler aus Lausanne schon einmal auf einem Kongress in der Schweiz gesehen habe. Gute Ideen aus der Schweiz, die sich ja mit Israel immer einen spannenden Wettbewerb um die meisten Patente pro Jahr liefern.

ATD Conference 2019

Zurück zu Britt Andreatta. Sie zeigt noch mal auf, welche unterschiedlichen Gedächtnisarten es gibt, es sind nämlich neun: Zwei Kurzzeitgedächtnisse und sieben Langzeitgedächtnisse. Und wir sollten bei unseren Lernkonzepten darauf achten, diese auf den jeweils geforderten Gedächtnistyp anzupassen.

„The type of memory determines the method learning“

lautet eine wichtige Aussage. Sie fasst die Ergebnisse der aktuellen Forschung noch einmal für Lernkonzepte zusammen. Da fühle ich mich sehr bestätigt: Aha-Momente erzeugen, statt Dinge einfach vorzubeten, alle Sinne verwenden, eine angstfreie Lernatmosphäre schaffen und immer wieder wiederholen. Auch sie erwähnt den guten alten Ebbinghaus, ohne allerdings zu vergessen, darauf hinzuweisen, dass sich seine Untersuchung auf das Lernen von unterschiedlichen sinnlosen Silben bezog. Ein solch sinnloser Content ist hoffentlich am meisten Unternehmen die Ausnahme. Aber klar ist, wenn wir bei Habits 40 bis 50 Wiederholungen benötigen, um eine neue Gewohnheit im Langzeitgedächtnis zu verankern, dann ist klar: Einmal ein Mitarbeitergespräch im Training zu simulieren und dann zu glauben, die Führungskräfte würden jetzt solche Gespräche genauso führen, ist komplett unrealistisch. Auch hier wird uns wahrscheinlich wieder VR helfen, da es bei solchen Dingen um episodisches Lernen geht. Dafür passt es wunderbar.

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Ein weiterer Speaker, den ich in der Vergangenheit schon hochgelobt habe – Sebastian Bailey – hat mich diesmal ein bisschen enttäuscht. Das lag weniger daran, dass er nichts zu erzählen hatte, sondern dass er versuchte, alle Transferideen von A bis Z in einer Stunde vorzustellen, und das waren dann wirklich 26. Ein Vortrag als Liste, das ging nicht nur langweilig, sondern das war es auch. Aber für die Compliance-Trainings habe ich von ihm einen guten Tipp bekommen, nämlich: Seine Untersuchungen haben klar gezeigt, wenn man bei Compliance-E-Learnings den Teilnehmern die Chance gibt, das Zertifikat schon am Anfang auszudrucken, steigt die Abschlussquote. Vertrauensvorschuss zahlt sich also aus.

Danach habe ich mich ein wenig in der Ausstellung verquatscht, kam zu spät zu meinen weiteren Workshops, die dann allesamt ausgebucht waren. Und da wird ja leider aus Brandschutzgründen keine Ausnahme mehr gemacht, man kommt dann einfach nicht mehr rein.

Fazit Tag 3

Er enthielt für mich persönlich nicht so viel Neues, viele gute Bestätigungen und ein paar interessante Entdeckungen in der Ausstellung, zum Beispiel ein Tool zum Peer to Peer Coaching mit Videos, die die Mitarbeiter dann auf eine Plattform hochladen. Dort werden sie erst von den Kolleginnen und Kollegen bewertet, dann kommt ein Positivbeispiel vom Coach und die Bewertung durch den Coach. Das macht alles super viel Sinn, entspricht aber mit ziemlicher Sicherheit nicht den Vorstellung der meisten Betriebsräte und wahrscheinlich auch der Datenschutzgrundverordnung.

 


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