Bei meinen Gesprächen, bei den Anfragen von Kunden an uns und in laufenden Projekten stelle ich fest: Wir befinden uns in einer neuen Phase, Phase 2. Phase 1 im Jahr 2020 nach dem Ausbruch von Corona bestand darin, dass es erst einmal darum ging, überhaupt weiterarbeiten zu können, wenn plötzlich viele Menschen im Homeoffice sind. Virtuelle Zusammenarbeit, virtuelle Führung, virtuelles Verkaufen überhaupt zu ermöglichen. Hier ging es nicht darum, gut vorbereitete Konzepte zu implementieren, sondern es ging eher um Überleben, Hilfe zur Selbsthilfe und viel auch um Improvisation.

Das spiegelte sich selbstverständlich auch in den Trainings wider, die wir durchgeführt haben.

Es ging zum Beispiel darum, Vertriebsmannschaften darin auszubilden, Kundentermine überhaupt virtuell durchzuführen und dabei einen professionellen Eindruck hinterlassen. Führungskräfte fragten sich: „Okay, was muss ich denn jetzt machen? Und wie mache ich das, wenn alle zu Hause sind und wir nur noch virtuell zusammenarbeiten?

Das war natürlich hauptsächlich ein „Problem von Menschen, die in Büros arbeiten“. Wir wissen, dass nur etwa 40 Prozent der Menschen in Deutschland, die erwerbstätig sind, überhaupt für Homeoffice infrage kommen. Aber die Corona-Situation hat natürlich auch zum Beispiel die Zusammenarbeit oder die Themen für Führungskräfte in der Produktion, in der Logistik etc. verändert. Wenn alle im Homeoffice sind, manche in Kurzarbeit, aber die Logistik Überstunden schiebt, weil man aus Hygiene- oder Coronagründen Schichtarbeit eingeführt hat, habe ich als Führungskraft nach vielen, vielen Monaten natürlich eine Mannschaft, die das nicht gut findet und auch zunehmend keine Akzeptanz mehr für diese plötzlich eingeführte Schichtarbeit hat. Dies ist nur eines der vielfältigen Praxisbeispiele, die ich im letzten Jahr erlebt habe.

Der Übergang von Phase 1 in Phase 2

Menschen bei der Bewältigung dieser Situation und Herausforderungen zu unterstützen und unter den erschwerten Rahmenbedingungen von Covid-19 überhaupt vernünftig zu arbeiten, ist für mich die Phase 1. Und ich glaube, wir sind mittlerweile in Phase 2.

Transformation

Phase 2 bedeutet, endlich das umzusetzen, was ich und viele andere Kolleginnen und Kollegen schon seit langem fordern: Nämlich wirklich Spielregeln für das sogenannte New Work zu etablieren. Womit nur selten gemeint ist, was der Gründer Frithjof Bergmann wirklich gemeint hat. Aber wir müssen entscheiden, wie virtuelles Arbeiten aussehen soll. Was macht Sinn? Was ist vielleicht eher kontraproduktiv? Wie sehen unsere Kommunikationskanäle aus? Einfach nur Microsoft Teams ausrollen und alle mit einer Erstbefähigung auszustatten, war eben Phase 1. Jetzt geht es darum zu schauen, welche Kanäle brauchen wir denn dann nicht mehr? Wo werden projektrelevante Informationen wirklich abgelegt? Wie können wir Redundanzen vermeiden? Das alles müssen wir jetzt klären.

Phase 3: Das neue Normal

Genauso sehen auch Anfragen aus, die wir zunehmend erhalten. Das Management, die Organisationsentwickler verlangen jetzt nach Lösungen für Phase 3: das neue Normal. Diesen Begriff mag man ja gar nicht mehr verwenden, weil er viel zu oft ge- und damit auch verbraucht wurde. Aber es stimmt natürlich irgendwie immer noch.

Wir brauchen eine neue Gestaltung der künftigen Arbeitswelt, die zum Teil schon begonnen hat. Und wir müssen jetzt wirklich entscheiden, mit welchen Tools wollen wir in Zukunft weiterarbeiten. Wie hoch wird der Anteil der Mitarbeitenden im Homeoffice sein? Wie viele Gespräche mit Kunden werden auch in Zukunft virtuell stattfinden usw.? Und genau deshalb ist die aktuelle Situation so wichtig für all diejenigen, die für die Gestaltung dieser Spielregeln, Standards und Prozesse verantwortlich sind.

Und ich glaube, dass diese Phase auch wichtig wird für alle, die im Umfeld von beruflicher Kommunikation und Zusammenarbeit, Führung und Vertrieb beraten und trainieren. Zunehmend geht es um das Zusammenwirken und auch die Zusammenarbeit von Mensch und Technologie. Dem kann ich mich als Trainer, Berater und Learning-Designer nicht mehr entziehen. Ich muss verstehen, wohin die Reise geht, welche Lösungen es gibt, wie die Anforderungen für Mitarbeitende in ein, zwei, drei, fünf Jahren aussehen werden. Das Vier-Ohren-Modell und die Changekurve auf Flipcharts zu malen, dazu schöne Geschichten zu erzählen, wird nicht mehr reichen.

Das neue Normal

Die Frage ist für die beiden damit genannten Themen Kommunikation und Veränderung:

  • Mit welchen Tools arbeitet mein Kunde?
  • Welche Prozesse gibt es dort?
  • Welche Spielregeln?
  • Okay, es gibt keine Spielregeln?

Dann macht ein Training vielleicht erst mal gar keinen Sinn. Das ist alles gar nicht neu. Gute Trainerinnen und Trainer haben auch schon in der Vergangenheit eine gute Bestandsaufnahme gemacht und oft festgestellt: Ein Training ist gar nicht die Lösung. Wir müssen deutlich tiefer ansetzen und erst mal die Situation analysieren. Aber dazu gehört jetzt eben auch, die aktuellen und künftigen Lösungen zu kennen und zu verstehen.

„Das macht doch alles keinen Sinn“

Ich führe aktuell eine ganze Menge Ausbildungen im Bereich Live-Online-Training durch. Manchmal werde ich auch eingeladen, um Gast zu sein, es gibt erste Kennenlernrunden. Und oft erlebe ich dort den Wunsch nach einer Rückkehr zum Normal von vorher, das alte Normal. Und was ich oft erlebe, ist, dass Kolleginnen und Kollegen, die genauso alt sind wie ich oder vielleicht sogar deutlich älter, sich im Recht sehen: „So kann es nicht weitergehen, diese kurzen Onlineeinheiten. Das macht alles keinen Sinn etc.“ So ein oft wiederholtes Credo oder Mantra.

Es ist aber völlig egal, wie ich als alter weißer Mann die Trends der Gegenwart kritisiere. Entscheidend ist, wie sieht die Realität der Arbeitswelt aus und wie die Wahrnehmung meiner Kunden. Und das sind Teilnehmende oft im Alter meiner Kinder.

Das neue Normal

Wer da glaubt, vom Feldherrnhügel vergangener Zeiten erklären zu können, wie die Zukunft aussieht, wird sich wundern. Er wird sich auch keine blutige Nase holen, sondern einfach sehr allein auf seinem Feldherrenhügel des Wissens und der Erfahrung der letzten 30 Jahre stehen. Denn die neue Generation der Entscheider und Entscheiderinnen trägt diese Konflikte oft gar nicht offen aus, sondern verabschiedet sich einfach aus der Kommunikation.

Ghosting ist ein Phänomen beim Daten und beim Beziehungsaufbau, wird zunehmend aber auch im Business-Kontext relevant. Das Ende der Zusammenarbeit wird nicht einmal mehr erklärt, sondern einfach vollzogen – nicht als formaler Akt, sondern man ist einfach raus.

Wer dieses traurige Schicksal nicht erleiden will, muss sich fitmachen, eintauchen in die schöne neue Welt der Online-Kollaboration, des neuen Arbeitens mit virtuellen Tools und selbst erleben, was funktioniert oder nicht funktioniert. Nur dann können wir weiter mitreden und unsere wichtige Erfahrung einbringen. Denn natürlich ist auch Kommunikation in der virtuellen Welt eben nicht nur logisch, sondern nach wie vor psychologisch. An unserem Gehirn hat sich ja nichts verändert, und es ist für die neue kollaborative und damit noch komplexere Welt ja noch viel weniger gemacht als für die alte Welt von 2019. Die war ja schon komplex genug.

Mindset, Skillset, Toolset

Und genau das ist ja auch der weitverbreitete Fehler von denen, die glauben, die Lösung aller Herausforderungen liege nur in der Auswahl des richtigen Tools. Das gute alte Dreieck aus Mindset, Skillset, Toolset gilt natürlich immer noch.

Und in einem Land wie Deutschland, wo wir ja nicht alle Menschen jenseits der Generation Y in den Vorruhestand schicken können, kommt es eben doch darauf an, wie kann ich Menschen ab 45 aufwärts in die neue Welt mitnehmen, sie dazu bringen, virtuelle Meetings mit Kunden nicht als temporäre Notlösung zu betrachten, sondern als willkommene Erweiterung und Veränderung ihres Berufs- und Lebensalltags.

Update

Und das ist eben dann doch wieder alles Psycho. Emotionen, Kommunikation, da freuen sich Menschen meines Alters, weil ich sagen kann: Ja, genau das ist es. Darin bin ich top. Ich kenne mich aus. Ich weiß, worauf es ankommt. Stimmt. Aber wenn ich nicht weiß, wie Microsoft Teams wirklich gut funktioniert, wenn ich beim Thema Viva aktuell nicht an Microsoft Viva denke, sondern an einen alten Fernsehkanal, der Musikvideos sendete, bin ich einfach nicht mehr up to date.

Deshalb gilt: Mein kleines Phasenmodell 1, 2, 3 gilt auch für uns, für mich als Trainerin, Trainer, Berater, Organisationsentwickler, Coach etc. Es geht nicht mehr darum, unsere Geschäftsmodelle einfach nur online am Leben zu erhalten, sondern es geht darum, neue Lösungen zu entwickeln, die die Bedürfnisse unserer Kunden wirklich treffen.

Jeder, jede von uns muss jetzt entscheiden: Sind wir beim neuen Normal noch dabei? Meine These an dieser Stelle ist: Viele überschätzen sich hier und glauben, ihre inhaltliche und Erfahrungskompetenz aus der alten Welt wäre in der neuen Welt genauso gefragt. Ich glaube, das ist leider nicht der Fall, egal wie gut oder schlecht das ist.


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