Wenn ich meinen Teilnehmern im Training zeige, wie Jonglieren funktioniert, kommt immer eine Phase, die alle irritiert. Ich fordere die angehenden Jongliermeister auf, sich nur auf das Werfen zu konzentrieren und gar nicht erst zu versuchen, die Bälle zu fangen. Werfen ist wichtiger als Fangen, sage ich immer. Erst wenn man den richtigen Rhythmus für das Werfen gefunden hat, ist es sinnvoll, sich anzustrengen, die Bälle auch zu fangen. Wer diese Phase überspringt, braucht meist deutlich länger als die Teilnehmer, die bereit waren, sich etliche Male zu bücken und die Bälle vom Boden aufzuheben.
Das Beispiel ist typisch für das Thema Lernen und unseren Umgang mit Fehlern. Viele Erwachsene lernen nicht so schnell und gut, wie sie könnten, weil sie eine unrealistische Erfolgserwartung und eine viel zu geringe Fehlertoleranz haben. Dabei wissen wir aus der Lernforschung längst: Eine hohe Fehlerfrequenz mit sofortigem Profi-Feedback verspricht die steilste Lernkurve.
Die Praxis sieht aber oft anders aus: Fehler machen ist unsexy. Gefragt sind Perfektionismus und Null-Fehler-Toleranz. Doch gerade wenn man sich in etwas verbessern will, sollte man eine Phase des Scheiterns einkalkulieren.
Ich erinnere mich, wie ich als Jugendlicher in den 80er Jahren anfing, Tennis zu spielen. Der Tennissport erlebte damals einen Boom, ausgelöst durch den mittlerweile etwas hüftsteifen Boris Becker. Mitglied im Tennisverein werden war noch vergleichsweise teuer, und Trainerstunden überschritten mein Taschengeldbudget deutlich. Ich brachte mir also das Tennisspielen mit einem Freund selbst bei.
Nach einigen Monaten entschlossen wir uns dann doch, unser Erspartes für einen ordentlichen Trainer auszugeben. Die Stunden verliefen ziemlich frustrierend. Der Trainer zeigte uns, wie man bei der Rückhand den Schläger richtig greift. Dieser Rückhandgriff war vollkommen anders als der Griff, den ich mir selbst beigebracht hatte. Und so wurde ich durch die Trainerstunden zunächst schlechter, mit der Rückhand traf ich keinen Ball mehr richtig. So ähnlich ergeht es den meisten Menschen, die etwas umlernen oder neu lernen wollen. Plötzlich heißt es üben, üben, üben und der Durchbruch lässt auf sich warten.
Und die praktische Anwendung?
Nehmen wir als Beispiel einen Verkäufer, der die Angewohnheit hat, sehr viel zu reden und mit seinem Fachwissen zu glänzen, statt dem Kunden Fragen zu stellen und gut zuzuhören. Diese Schwäche wird ihm in einem Training bewusst. Im ersten Verkaufsgespräch danach versucht er sich in der vielen bekannten, aber nur von wenigen praktizierten Technik des Spiegelns. Die praktische Anwendung fällt ihm jedoch schwer, er büßt einen Teil seiner Sicherheit und Überzeugungskraft ein und erzielt keinen Abschluss. Das muss ich erstmal üben, sagt er sich. Aber lieber nicht mit den Kunden, sondern irgendwann, irgendwo außerhalb des Jobs. Im Ergebnis übt er leider gar nicht.
So erklärt sich die magere Quote von maximal zehn Prozent der Lerninhalte, die nach einem Training wirklich in der Praxis der Teilnehmer ankommen. Um einen Lernerfolg zu erzielen, müsste unser fehlerscheue Verkäufer bereit sein, etliche Kundengespräche nach dem Training als Übungsfeld zu nutzen. Würden seine Vorgesetzten ihm dies gestatten, es sogar gut heißen? Immerhin könnten ihm ein paar lukrative Abschlüsse durch die Lappen gehen, bevor er richtig sattelfest im Spiegeln sein würde.
Fehlerkultur in der Führung
Unter Führungskräften ist es beliebt, die eigene Fehlerkultur mit den Worten zu preisen: „Bei mir darf jeder Mitarbeiter jeden Tag Fehler machen, und zwar neue.“ Zunächst klingt diese Aussage positiv und intelligent: Wie wunderbar, ein Chef, der Fehler erlaubt. Mit etwas Abstand erscheint sie jedoch ziemlich anmaßend und vielleicht sogar dumm. Es ist schlichtweg unrealistisch, dass man einen Fehler nur einmal macht. Wie oft fallen Kinder um, bevor sie wirklich laufen lernen? Nur einmal? Tatsächlich dauert es eine ganze Weile, bis sie sicher einen Fuß vor den anderen setzen können. Das gilt auch für uns Große: Es ist absolut normal, für gewisse Zeit in einer Kompetenzphase zu verharren und trotz eifrigen Bemühens immer wieder den gleichen Fehler zu machen.
Von Sporttrainern hört man öfters diese Redewendung: „Der hat einen richtigen Sprung gemacht.“ Gemeint ist damit der Sprung auf einen neuen Level. Oftmals geschieht dieser scheinbar ganz plötzlich. Der Erfolg kommt nämlich nicht immer nur in kleinen Schritten, sondern manchmal erst nach einer Phase des Auf-der-Stelle-Tretens, dann aber in einem großen Satz. Erfolgreich ist also auf lange Sicht derjenige, der in der Phase des Scheiterns am meisten Geduld beweist.
Statt laufend neue Seminare zum Thema Erfolg und Motivation anzubieten, wäre es vielleicht an der Zeit, auch einmal das Scheitern zu üben. So wie beim Jonglieren. Die wahrhaft lernende Organisation ist die, die ihren Mitgliedern das Scheitern erlaubt und sie zum Fehlermachen auffordert: Vom Fehlerweltmeister zum Weltmarktführer.
[…] der Kindheit und im Besonderen seit der Schule sind die meisten von uns darauf konditioniert, dass Fehler etwas schlechtes sind und höchstwahrscheinlich bestraft werden. Damit die Kreativität sprudelt, also […]