Kürzlich in einem meiner Trainings: Es geht darum, ein eigenes Projekt kurz, knackig und überzeugend vor einer Runde von Entscheidern zu präsentieren. Ein sogenannter Elevator Pitch also. Die Teilnehmer präsentieren einer nach dem anderen und machen ihre Sache gut bis sehr gut. Doch einer von ihnen ist wirklich herausragend. Seine Story, die Struktur und Dramaturgie – alles perfekt. Auch wie er betont, wann er eine Pause macht. Ein begnadeter Geschichtenerzähler! Ich frage mich, wo dieser junge Mann sein Handwerk gelernt hat. In einem sündhaft teuren Wie-werde-ich-TED-Talk-Speaker-Seminar? Oder verschlingt er dutzendweise Ratgeber über Storytelling und Rhetorik? Wie sich herausstellt, ist seine Ausbildung wesentlich bodenständiger und im wahren Sinne des Wortes alltäglicher: Er ist ein junger Familienvater und liest seinen Kindern gerne Geschichten vor.
Er praktiziert also genau das, was ich meinen Teilnehmern, ganz gleich ob es sich um Führungskräfte oder Vertriebsmitarbeiter handelt, stets empfehle: Lest euren Kindern jeden Abend vor dem Zubettgehen ein Märchen vor. Schlüpft in die unterschiedlichen Figuren, gebt den einzelnen Charakteren jeweils eine andere Stimme. Und traut euch, die jeweilige Rolle wirklich auszuleben! So lernt ihr Geschichten kennen und werdet automatisch zu guten Geschichtenerzählern.
Und wie geht es weiter?
Der nächste Entwicklungsschritt ist dann logischerweise, eigene Geschichten zu erfinden. Das ist schon anspruchsvoller, übt aber noch mehr. Ich spreche aus Erfahrung. Mein Vater hat mir und meinen Schwestern immer selbst erfundene Geschichten erzählt. So habe ich es später bei meinen Kindern auch gemacht. Ich hatte einen festen Helden, und zwar den berühmt-berüchtigten Seeräuber Störtebeker. Er passte gut zur Ostsee, an der wir oft und gerne Urlaub machten. Ebenso gerne besuchten wir mit den Kindern die Störtebeker-Festspiele. Ich ließ Störtebeker aufregende Abenteuer durchleben. In die Geschichten baute ich unterschiedliche Charaktere ein, die immer wieder auftauchten und den entsprechenden Archetypen entsprachen, die wir aus unzähligen Geschichten kennen: den dicken Ole, die norddeutsche Verkörperung von Obelix, oder den pfiffigen Jan Jansen, der seine körperliche Unterlegenheit durch Kreativität und Frechheit wettmachte.
Erzählen Sie eine Geschichte
Warum erzähle ich Ihnen das? Sicher wollen Sie Ihren Mitarbeitern und Kunden keine Störtebeker-Geschichten erzählen oder aus Grimms Märchen vorlesen. Aber ganz sicher möchten Sie lernen, packende Geschichten zu erzählen. Storytelling ist der große neue Trend! Aber stimmt das mit dem „neu“ wirklich?
Die Aussage „das ist so alt wie die Menschheit“ gilt wahrscheinlich für wenige Dinge so wie für das Thema Storytelling. Wenn Storytelling momentan eine Renaissance erfährt, dann genau deshalb – weil wir diese archaische Gewohnheit, die zugleich ein Bedürfnis ist, in unserer oft so nüchternen und immer digitaleren Geschäftswelt vernachlässigt haben. Dank der Neurowissenschaft wissen wir, dass eine Information ohne Emotion für unser Gehirn keine Relevanz hat. Und dass nicht relevante Informationen auch keine Veränderungen und Entscheidungen herbeiführen. Genau darum geht es aber sowohl im Verkauf als auch bei der Führung von Mitarbeitern: Geschichten zu erzählen, die Fakten mit Emotionen verbinden und sie damit relevant für andere machen.
Storytelling lässt sich lernen
Geschichten erfinden und erzählen können Sie lernen. Üben, üben, üben hilft. Wenn Sie Mutter oder Vater sind, halten Sie sich an meine obigen Empfehlungen. Falls Sie keine Kinder haben oder diese schon im fortgeschrittenen Alter sind, suchen Sie sich andere Gelegenheiten um zu üben. Zum Beispiel bei der Arbeit gemeinsam mit Kollegen. Wenn Sie morgens etwa Online-Nachrichten lesen oder Radio hören, schnappen Sie sich einfach eine Story und nutzen Sie diese zur Eröffnung Ihrer Präsentation oder eines Meetings. Überhaupt ist das eine gute Idee: Machen Sie es sich zur Gewohnheit, jedes Meeting mit einer Anekdote oder einer Story zu beginnen.
Oder führen Sie ein Spiel ein, mit dem auch ich mich im Geschichten erzählen geübt habe: Meine Kinder durften entscheiden, welche Personen oder Gegenstände in der Geschichte vorkommen sollten. Ich musste dann schauen, wie ich Störtebeker, ein Feuerwerk, und den Ritter Kunibert an unseren aktuellen Urlaubsort, der ausnahmsweise nicht die Ostsee war, verfrachten konnte. Für mich als Geschichtenerzähler war das eine echte Herausforderung. Ich habe sie aber jedes Mal mehr oder weniger fantasievoll gelöst. Und von Mal zu Mal fiel mir das Erzählen leichter.
Sie und Ihre Kollegen können das auch erleben.
Zum Beispiel im nächsten Vertriebsmeeting. Natürlich geht es bei Ihnen nicht um Fantasiefiguren, sondern um Produkte und deren Features und Nutzen. Aufgabe könnte zum Beispiel sein, ein bestimmtes Produkt, ein spezielles Feature und einen konkreten Nutzen in eine lustige Geschichte aus dem Alltag zu packen.
So könnte die einfache Übung für Ihre Vertriebsmeetings oder Trainings ablaufen: Jeder Teilnehmer schreibt drei Begriffe auf, also ein Produkt, ein Feature und einen Nutzen. Dann werden die Zettel gesammelt und wieder unter den Teilnehmern verteilt. Jeder hat dann fünf Minuten Zeit, eine Geschichte zu entwickeln, in der die drei Begriffe vorkommen. Anschließend trägt jeder seine Story vor. Länger als zwei Minuten sollte diese nicht dauern. Gute Geschichten dürfen später gerne ausgebaut werden.
Ich bin mir sicher, mit der Zeit werden Sie alle richtig gute Geschichtenerzähler – und damit noch bessere Verkäufer.